Zur Genesis der spätgotischen Plastik Mitteleuropas

Title: Zur Genesis der spätgotischen Plastik Mitteleuropas
Variant title:
  • Ke genezi pozdněgotické plastiky střední Evropy
Author: Kutal, Albert
Source document: Sborník prací Filozofické fakulty brněnské univerzity. F, Řada uměnovědná. 1970-1971, vol. 19-20, iss. F14-15, pp. [155]-166
Extent
[155]-166
Type: Article
Language
Summary language
License: Not specified license
 

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Abstract(s)
Für spätgotisch wird gewöhnlich diejenige Malerei und Plastik Mitteleuropas gehalten, die nach der Auflösung des schönen Stils entstanden ist und sich unter dem überwältigenden Einfluß der neuen niederländischen Kunst konstituiert hat. Dies Periodisation ist schwerlich auf die Geschichte der Architektur anwendbar. Es wird allgemein angenommen, daß die Wurzeln der spätgotischen Architektur viel weiter zurückreichen; meistens werden sie in der Zeit und im Schaffen Peter Parlers gesucht, der mit der Tradition des linear expressiven Stils gebrochen und einen kühnen Vorstoß in die Welt des einheitlichen, kontinuierlichen und unendlichen Raums unternommen hat. Die materielle Hülle des Innenraums ist für ihn nicht eine unüberbeschreitbare Grenze, sonder eher dessen kvantitativ unterschiedener Bestandteil, der von ihm geformt wird und eine Ubergangszone zum unendlichen Raum bildet. Kontraste zwischen den von Licht überfluteten und den in Schatten gehüllten Partien, wie sie sich im Chor des Prager Domes oder besonders in der Bartolomäuskirche in Kolin geltend machen, weisen in diese Richtung ebenso, wie die frei im Raum laufenden Rippen der goldenen Pforte und der Sakristei von St. Veit, das Eindringen dessen Mittelschiffsraumes in das Triforium, das mit der Fensterzone zu einer einheitlichen Lichtquelle zusammengewachsen ist, oder die gekreuzten Rippenenden, die in der glatten Mauer des Durchganges des Altstädter Brückenturmes ohne Übergang verschwinden, ganz zu schweigen von der vereinigenden Funktion der Netzgewölbe, die zu einem rein künstlerischen Problem werden. All dies wurde im späten 15. und beginnenden 16. Jahrhundert zu einer berauschenden Raumfantasie gesteigert, die in Böhmen ihren Höhepunkt in der Wladislawzeit erreichte und ihre Fortsetzung im böhmischen Hochbarock fand. Ist aber die Situation in der Malerei und in der Bildhauerei, die uns hier besonders angeht, gänzlich verschieden? Mit anderen Worten, ist die Plastik der Parierzeit ohne Nachwirkung geblieben und sind die Grundprinzipien, auf denen sie aufgebaut war, mit dem Ende des Stils aus der Welt geschaffen worden? Und gehen die Impulse zur Entstehung der spätgotischen Plastik Mitteleuropas ausschließlich von den Niederlanden aus? Im Folgenden soll die Legitimität dieser Frage demonstriert und mit einigen Bemerkungen zu ihrer Beantwortung angeregt werden.